Altersarmut bekämpfen. Lebensleistung honorieren. Flexible Übergänge in die Rente schaffen“

Dr. Hans-Joachim Schabedoth

Im Vertrauen auf die Überlegenheit kapitalgedeckter Altersvorsorge gegenüber einer traditionellen Alterssicherung über paritätische Beitragszahlungen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern hatte die rot-grüne Bundesregierung beschlossen, das Niveau der gesetzlichen Rente bis 2030 auf 43 Prozent des durchschnittlichen Einkommens zu senken. Die damalige Erwartung war, die Lücke zum aktuellen Niveau von 51 Prozent könne durch private Riester-Modelle oder Betriebsrenten mehr als nur kompensiert werden.
Die schwarz-rote Koalition hatte sich darauf festgelegt, bis zum Jahr 2029 das Rentenalter ab 2012 schrittweise von 65 auf 67 Jahre anzuheben. Nur für Beschäftigte, die 45 Arbeitsjahre aufweisen können, sollte es möglich bleiben, auch nach 2012 mit 65 ohne Abschläge in Rente zu gehen. Da kaum zu erwarten ist, dass sich im gleichen Tempo mit der Verschiebung der Verrentungsgrenze auch die Arbeitswelt altersgerecht verändert, verschlechtert sich für alle, die nicht bis zur gesetzlichen Verrentungsgrenze berufstätig bleiben können, die Perspektive auf ein armutsfreies Leben im Alter.

Die Erfahrung mit der anhaltenden Finanzmarktkrise und mit der Praxis der Riester-Rente haben die Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieser Rentenreformen vergrößert. Inzwischen hat auch die CDU-Bundesarbeitsministerin erkannt, dass Altersarmut zu einem Massenphänomen werden könnte. Sie schlägt deshalb vor, die Rente für einen Teil der Geringverdiener unter restriktiven Zugangsbedingungen auf 850 Euro aufzustocken. In der Regierungskoalition findet sie für diesen Ansatz keine ausreichende Unterstützung. Es wird ihr nicht einmal als Verdienst zugerechnet, mit ihrem in der Koalition unabgestimmten Entwurf noch vor der Veröffentlichung des SPD-Konzeptes Problembewusstsein und eigene Handlungskompetenz reklamiert zu haben.

Der SPD-Vorschlag

Die SPD sieht den Hauptansatzpunkt zur Bekämpfung von Altersarmut nicht in der Rentenpolitik, sondern in der Reform des Arbeitsmarktes und bei Veränderungen in der Wirtschafts- Sozial- und Bildungspolitik. Hier liegt der fundamentale Unterschied zum Ansatz der Arbeitsministerin, die ihre Zusatzrente zur Vermeidung von Armut ordnungspolitisch bedenklich aus dem Beitragsaufkommen und nicht als gesamtgesellschaftliche Aufgabe über das Steuersystem gegenfinanzieren will. Altersarmut, so stellt die SPD fest, ist Konsequenz von „Erwerbsarmut“. Ihren Vorschlag zur Weiterentwicklung der SPD-Rentenpolitik stellt die SPD deshalb konsequent in den Zusammenhang weiter politischer Initiativen für bessere Beschäftigungschancen, ordentliche Arbeitsverhältnisse und faire Bezahlung.

Die Ansatzpunkte des Konzeptes lassen sich wie folgt zusammenfassen:
1.Stärkung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten, Bekämpfung des Niedriglohnsektors und der schlechteren Bezahlung von Frauen.
2.Verbesserung der Möglichkeiten für alle Menschen, im Berufsleben ein eigenständigen und ausreichenden Rentenanspruch zu erwerben durch bessere Bildungsbeteiligung, Reduzierung der Schulabbrecherquoten, Ganztagsschulen, Betreuungsangebote zur Vereinbarkeit von Familie und Vollzeitberufstätigkeit.
3.Verbesserung des Zugangs zur Erwerbsminderungsrente.
4.Flexiblere Regeln für das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben. Unter anderem wird vorgeschlagen, dass Beschäftigte freiwillige Zusatzbeiträge zahlen können, die spätere Abschläge ausgleichen. Und auch die Arbeitgeber sollen im Rahmen von Tarifverträgen unabhängig vom Alter der Arbeitnehmer die Möglichkeit erhalten, freiwillige Zusatzbeitrage in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen.
5.Die Sicherungslücke durch das Absinken des Rentenniveaus auf 43 Prozent im Jahre 2030 soll durch eine Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge aufgefangen werden.
6.Besondere Regelungen für sogenannte „Solo-Selbstständige“.
7.Schließlich soll durch eine „Solidarrente“ sichergestellt werden, dass nach 30 Beitragsjahren mindestens ein Rentenanspruch von 850 Euro entsteht. Erziehungszeiten sowie Zeiten von Arbeitslosigkeit sollen dabei höher bewertet werden. Im Kontrast zum von-der-Leyen-Vorschlag soll die Finanzierung aus -Steuermitteln erfolgen.

SPD-Vorschlag in der Diskussion

In den parteiinternen und öffentlichen Diskussionen konzentriert sich die Kritik auf zwei zentrale Aspekte: Zum einen wird bemängelt, dass es bei der Absenkung des Rentenniveaus bis zum Jahr 2030 auf 43 Prozent (des Bruttoeinkommens nach Abzug der Sozialversicherungen und Vorsteuern) bleiben soll. Zum anderen wird das Festhalten an der schrittweisen Einführung des gesetzlichen Rentenalters von 67 Jahren kritisiert.

Die SPD will das bereits heute bestehende Modell der Alterssicherung und den eingeschlagenen Prozesses hin zur Rente mit 67 nicht grundsätzlich in Frage stellen. Ihr geht es um „Nachhaltigkeit, Kalkulierbarkeit und Verlässlichkeit“. Das Absenken der Rentenquote bis 2030 auf 43 Prozent sei notwendig gewesen, um die Beiträge relativ stabil halten zu können und über einen Nachhaltigkeitsfaktor eine tragfähige Balance zwischen Rentner- und Beitragszahlergenerationen herzustellen. Der SPD-Ansatz setzt darauf, dass in Kombination aller Maßnahmen trotzdem sichergestellt werden könne, Altersarmut zu vermeiden. Alternativ dazu müssten die Beiträge zur Rentenversicherung bis 2030 auf 25 statt der bisher eingeplanten 22 Prozent steigen. Gesprochen wird dabei von einem Kostenvolumen in Höhe von 40 Milliarden Euro, das man nicht glaubt, seriös gegenfinanzieren zu können.

Das Festhalten an der Rente mit 67 wird nach wie vor mit der zu erwartenden demografischen Entwicklung begründet. Durch ein System flexibler Übergänge soll verhindert werden, dass individuelle Entscheidungen für den früheren Ausstieg und strukturelle Bedingungen, die sich nicht in der Frist bis 2030 ausräumen lassen, in eine Armutsfalle führen. Unterstellt werden dabei stetige Fortschritte beim Schaffen altersgerechter Arbeitsbedingungen sowie eine Chance zur Kompensation von Abschlägen durch Eigenvorsorge und Unterstützungssysteme der Tarifvertragsparteien. Ob und inwieweit im Fortgang der laufenden Diskussion die SPD ihr Konzept noch verändern wird, ist derzeit nicht absehbar. Im November soll darüber ein kleiner Parteitag das letzte Worte sprechen.

Bewertung

1.Es eröffnet für die Debatte um ein zukunftsfähiges Rentensystem endlich neue Perspektiven, dass die Probleme im Erwerbsleben und im Zugangssystem zum Erwerbsleben in Blick genommen werden. Denn allein das Rentensystem kann nicht reparieren, was durch jahrzehntelange Versäumnisse auf vielen anderen Politikfeldern entstanden ist
2.Der Lack ist ab von der früheren Begeisterung für kapitalgesicherte Rentensysteme zum Nachteil der Schwächung der Solidarsysteme. Die Erfahrung mit der Finanzmarktkrise haben auch zu einer Neubewertung der sogenannten Riester-Rente geführt, auch wenn man sich noch nicht traut, diesen Ansatz gänzlich als „Irrweg“ zu bezeichnen und zu korrigieren. Immerhin erhält das neue SPD-Konzept den Ansatz, auch im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung freiwillige zusätzliche Anwartschaften aufbauen zu können. Dabei weitet sich auch das Einsatzfeld für Tarifpolitik.
Im Übrigen eröffnet sich mit der Perspektive auf Stärkung betrieblicher Alterssicherungssysteme auch eine verbesserte Arbeitsgrundlage für die schon bestehende Metallrente.
3.Auch wenn noch offen bleibt, inwieweit die genannten Unzulänglichkeiten im weiteren Beratungsprozess noch ausgeräumt werden können, bedeutet das Konzept eine beachtliche Weiterentwicklung der sozialdemokratischen Rentenpolitik.
Allerdings darf man es nicht an der Erwartung messen, es müsste einhergehen mit einer Totalabsage an frühere Entscheidungen zur Rentenpolitik. Im System der Parteienkonkurrenz um die Wählergunst bleibt es wohl für immer sehr selten, die eigenen gemachten Fehler auch als solche zu benennen und demonstrative Bereitschaft zur Korrektur zu proklamieren. Dies erklärt die Rhetorik des Konzeptes. Es ist nicht vom Bruch mit früheren Entscheidungen die Rede, sondern vom Weiterentwickeln und vom Einbeziehen neuer Fakten und Erfahrungen.
Es würde den gewerkschaftlichen Versuchen, weiterhin fördernd statt nur fordernd auf Lernprozesse in Parteien einzuwirken, nicht nutzen, sondern eher sogar schaden, ließe man sich von anderen Erwartungen leiten. Insofern halte ich das vorgelegte Konzept für unterstützungsfähig, was alle Bemühungen, es noch besser zu machen, ausdrücklich einschließt, selbstverständlich auch verlangt