
Klaus Wowereit wurde am 26. August im überfüllten Saal der Stadthalle in Oberursel außerordentlich herzlich empfangen. Klatschen, Händeschütteln, alle freuten sich auf ihn.
Er begann, im Wahlkampf erzähle jeder, wer der Beste sei. Aber die Bürger sind klüger, als die Politiker denken. Das gab kräftigen Beifall. Wowereit erklärte, er wundere sich, dass die Kanzlerin jetzt nach acht Jahren Themen entdecke, die sie früher nie aufgegriffen hat. Sie sei zwar als Person populär, aber nach Umfragen sei die Koalition unbeliebt. Das sei ein guter Ansatzpunkt für die Mehrheitsfähigkeit der SPD. Forderungen und Kritik an der bisherigen Politik der Bundesregierung bewies er mit genauen Zahlenangaben.
Ein Beispiel fiel ihm als früherer Bildungsstadtrat aus Tempelhof in Berlin ein: Die A- und B-Länder stritten einmal auf einem Bildungsgipfel in Dresden über eine Milliarde Euro für Bildung wenige Wochen später war das Geld für die Bankenrettung da! Wenn die FDP meine, der Starke setze sich durch, dann halte die SPD dagegen: Das ist nicht die Politik der Sozialdemokraten. Brausender Beifall der meisten 170 Zuhörer.
Die SPD sagt v o r der Wahl, dass die Steuern erhöht werden müssen, und zwar der Spitzensteuersatz auf 49 Prozent beim Jahreseinkommen eines Singles ab 100 000 und
200 00 Euro bei einem Ehepaar . 20 Euro im Monat seien wohl zu verkraften. Bei Kohl war dieser Steuersatz höher, 52 Prozent!
Altersarmut entstehe durch geringes Erwerbseinkommen ein Leben lang. Darum ist der Mindestlohn von 8,50 Euro eine Frage des Anstands. Jetzt erhalten 23 Prozent der Erwerbstätigen Dumpinglöhne, 11 Prozent haben weniger als 8,50 Euro und über eine Million arbeitende Menschen sind Aufstocker. Wenn dann Steuern hinterzogen würden von begüterten Bürgern, sei das für ihn unerträglich. Die soziale Ungerechtigkeit kann sich eine reiche Gesellschaft nicht leisten, rief der Redner.
Sehr deutlich betonte Klaus Wowereit das in der Verfassung verankerte Recht auf Asyl. Wir müssen dafür in unserer Gesellschaft ein Klima schaffen, erklärte er. Auch seine Mutter aus Ostpreußen hatte so ihre Bräuche
Dann ging er auf weitere im SPD-Programm aufgeführten Probleme ein und erwähnte auch, dass die Partei in Hessen 800 Millionen einsparen will durch schärfere Kontrollen und Vorbeugung von Steuerhinterziehung.
In der anschließenden Fragerunde ging es um den Länderfinanzausgleich. Berlin profitiert davon und kann beispielsweise kostenlose Kitaplätze anbieten, hieß es. Hessen koste diese Abgabe Milliarden. Wowereit verteidigte das System und bezeichnete die Klage Bayerns und Hessens als populistisch. Berlin sei früher auf die Hilfe des Westens angewiesen gewesen und das zeige sich noch heute. In der Diskussion kritisierte ein Teilnehmer die Hartz IV-Reform. Dazu äußerte Klaus Wowereit, er halte sie für in Ordnung. Aber die Beurteilung der Zeitarbeit sei falsch gewesen, ebenso wie die der Rente mit 67. Bei VW arbeite niemand mehr in der Produktion, die Arbeiter seien früher entfernt worden. Fehler müsse man auch korrigieren, gab er zu. Am Schluss seiner Rede wurde ihm mit langem Beifall gedankt.
Eine Berlinerin fühlte sich bei dem temperamentvollen Vortrag des Berliner Politikers
an die erste Rede des jungen Willy Brandt in einer großen Parteiversammlung Ende der Vierzigerjahre in Berlin-Neukölln erinnert und klatschte besonders lange.